Mittwoch, 3. April 2013

Gesang im Garten des selbstsüchtigen Riesen

Jeden Morgen wenn ich in diesem Frühjahr aus dem Fenster schaue, muss ich an Oscar Wildes Märchen "Der selbstsüchtige Riese" (The Selfish Giant) denken. Dichtes Schneetreiben in einer vereisten Landschaft voll blattloser Bäume und Sträucher, alle Schattierungen von Grau, eine kalte Schneedecke soweit das Auge reicht,  das ist das sprechende Gesicht dieses Frühlings.

Auf den Straßen ist der Schnee zu Matsch gefahren, wer im warmem SUV fährt, dem geht es gut, man schiebt das Wetter dem Klimawandel in die Schuhe, oder einfach jahreszeitlichen Kapriolen.

Frühling im Garten des selbstsüchtigen Riesen. Maminato, März 2013

 Die Diskussion: Klimawandel - wieso, es müsste demnach ja wärmer werden - ja oder nein, alles Gerede darüber ist nur ein Versuch, das Problem nicht sehen zu wollen. Denn: Die Natur spricht auf ihre Weise zu uns. Wir begreifen leider nicht, wie sie zu uns spricht. Wir begreifen es nicht, denn wie kann etwas sprechen, das kein Hirn hat? So denken viele.

Wie denken: Nur wir Menschen können Zusammenhänge erfassen und mitteilen, denn wir haben ein intelligentes Bewusstsein. Wir haben außerdem die Technik und eines Tages werden wir damit alle Probleme beherrschen, auch das Klima. Wir wollen nicht in die Steinzeit zurück, sondern brauchen das Wachstum zur Entwicklung unserer Gesellschaft. So denken viele.

Aber sie sehen nicht. Sie sehen nicht die Selbstsucht und Verschwendung, welche diese Entwicklung der Gesellschaft begleitet und ihren Erfolg gefährdet. Das System der Gier steht den Hilflosen bis zum Hals, es mästet sich an Verlierern. Unsere Gesellschaft ist zum Riesen emporgewachsen, der den gemeinsamen Garten selbstsüchtig in Besitz nimmt, das kindliche Lebensspiel verbannt, die lieblichsten Gemeinplätze unserer Kultur versklavt und herum eine hohe hässliche Mauer baut.

Die Menschen werden zu Gliedern dieses Riesen und zunehmend blind für alles, was nicht auf kleinen und großen Bildschirmen existiert.

Der letzte "Frühling" dieser Art war 1944, einem Jahr, in dem das menschliche Verbrechen im Gräuel des II. Weltkrieges seine Höhepunkte auslebte, an vielen Millionen Menschenleben, welche systematisch zerstört wurden. Im Frühjahr 1944 war ebenfalls Winter, sowohl in den Herzen, als auch in der Natur.

Das Jahr 2013 mag trotz vereinzelter Kriege nicht so drastisch wirken, aber die Selbstsucht hat auch andere Gesichter als der Hass des Krieges. Unsere Selbstsucht ist zum Feldzug der Ausbeutung auf Kosten der kommenden Generation mutiert. Jene ist hilflos wie die Schöpfung um uns, hat keinen Anwalt, denn es sind höchstens kleine unmündige Kinder.

Vielleicht will die Schöpfung nicht mehr länger mit ansehen, wie unsere riesige Wohlstandsfestung den Kindern dieser Welt ihre Lebensfreude nimmt? Vielleicht fühlen sich in einer kalten Spektulanten- und "Developer"-Landschaft nur mehr Eis, Schnee, Frost und Nordwind zu Hause? Ist unsere soziale Kälte bereits so frostig, wie der eisige Tod in den Lagern des letzten Weltkrieges?
Selbst wenn es nicht ganz so wäre, stünde es uns Riesen an, über unsere Selbstsucht nachzudenken, über den ewigen Winter, welchen wir den Ausgesperrten - und damit uns selbst bescheren.

Wie in Oscar Wildes Märchen gibt es nun in unserem großen Garten keine Blumen und keine Lebensfreude mehr. Das Wild und die Singvögel verhungern. Statt dem Duft der Blumen atmen wir den Gestank der Abgase im scharfen Nordwind.

Ich habe ein kleines Loch in die mächtige Mauer des Gartens des selbstsüchtigen Riesen gemacht und an einer bestimmten Stelle eine Handvoll Vögel durch den hartnäckigen Winter gefüttert. 

Not- Fütterung für Singvögel im Garten des selbstsüchtigen Riesen


Vögel erfrieren eher nicht, sie verhungern, da sie in der Kälte sehr viel Energie verbrauchen. Je länger der Winter dauert, umso mehr drohen die Vögel in der Umgebung  zu verhungern. Ich arbeitete einen Fütterungsplan aus, um das so gut wie möglich zu verhindern. Erfahrungen aus den letzten Jahren haben gezeigt, dass auch sehr weit entfernte, jenseits des sichtbaren Horizonts befindliche Populationen den Fütterungplatz herausfinden können und bei der Befüllung rasch heraneilen. Wie das genau funktioniert, Buschtrommel, wie auch immer, ist mir noch ein Rätsel. Sehr wichtig ist, dass bereits am Morgen Futter da ist, da die Vögel in der kalten Nacht viel Energie verbrauchen. Durch regelmäßige Kontrollen und einige Selbstspender wird garantiert, dass kein gravierender Engpass entsteht. Mittlerweile ist - bei tiefem Winter Anfang April - der Andrang sehr groß geworden. Ich schätze ein ständiges Vorhandensein von ca. 30 - 50 und mehr Vögeln.  Sperling, Meise, Amsel, Eichelhäher, fallweise Fasan, waren als Standvögel den ganzen Winter anwesend, doch nun kommen täglich neue Arten von Zugvögel hinzu, deren Gesang und Gefieder das Geschehen sehr bunt machen.  Die Bestimmung ist noch nicht abgeschlossen. Es ist nun ein Eldorado für Ornithologen, denn man hat alle möglichen Arten dicht gedrängt auf einem Haufen, die normalerweise auf Landschaft und Gebüsch verteilt wären.

Diese Vögel hatten einen Hungerflug hinter sich und stürzen sich wie wild auf das Futter. Viele ziehen nicht weiter, sondern bleiben einstweilen in den umliegenden Bäumen und warten bis Nachschub kommt. Und er kommt. Abgesehen von den Selbstspendern von denen vor allem die Meisen profitieren, geht pro Tag ca. 1 kg Vogelfutter für 1 Futterhäuschen und einer weiteren Futterstelle in den Naturkreislauf über, Tendenz steigend.

Durch das Loch in der Mauer des selbstsüchtigen Riesen wurden an diesem Ort die Vögel wieder zum Singen gebracht, es mutet geradezu grotesk an, in der starren Winterlandschaft einer bunten Vogelschar zuzuhören, die in dieser Dichte und Vielfalt an diesem Ort bislang einmalig erscheint.

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