Freitag, 5. April 2013

Hunger als Naturschauspiel


Wo Frühling sein sollte, hält sich hartnäckig der Winter.

Das Vogeldrama um uns herum bringt die Phantasie auf Hochtrab. Ich beginne Notbehausungen aus Pet-Wasserkanistern für Singvögel zu entwickeln und zu testen. 
Sie bestehen aus einem Einflugloch, Wasserabfluss am Boden, innen mit etwas Stroh und  einem Schilfrohrmantel zur Tarnung und Beschattung.



Vorteil: sehr einfaches Prinzip, kostengünstig, leicht verfügbar, kann jährlich einfach gewechselt werden.

Es stellt sich nämlich für die Singvögel das Problem, dass sie durch die lange Kälte viel später zu nisten beginnen und zudem anfangs wenig Nistmaterial finden werden.
Es ist klar, dass man nicht die ganze Vogelwelt retten kann, aber es geht mir darum, die anwesende Kernpopulation über diese Krise zu bringen, damit sie sich als "Arteninsel"  danach wieder weiter vermehren kann.


Die Frage ist, ob es Vögel gibt, die sich zu so einem Pragmatismus punkto Wohnkomfort hinreißen lassen. Wenn es funktioniert, geht das Patent leicht verbessert in "Massenproduktion".


Es gibt Leute, die finden es wichtiger darüber zu diskutieren, ob Tiere eine Seele haben. Eines ist gewiss - sie empfinden ebenso Hunger wie wir und Gott liebt sie auf seine Weise. Steht doch so schön in der Bibel (Matthäus Kap.6), " Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch."

Es gibt also eine sorgende Kraft,  die Menschen dazu anleiten kann, ebenfalls für die Schöpfung da zu sein.

Konstruktion eines einfachen Futterspenders
In meinem Fall hat es mit einem kleinen Futterhäuschen im Garten begonnen, welches einigen Meisen und Spatzen in der Umgebung den Winter erleichtern sollte. Ich wollte diese Vögel auch in meinem Garten haben, als nützliche Wildlife-Zierde, mein persönliches Programm zur Hebung der Biodiversität. Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass man die Natur so gut wie möglich in Ruhe lassen sollte, besonders Gebiete, die noch wild sind oder sich in einem Zustand der Renaturierung befinden. Bei letzterem kann man natürlich ein wenig nachhelfen, aber da sollte man schon wissen, was man tut.  Oder sich zumindest bewusst sein, dass es sich um ein äußerst komplexes Gebilde handelt, in dem der Mensch seine negative oder positive Rolle spielen kann.

Durch das Schmelzen des arktischen Eises verändern sich die atmosphärischen Strömungen, welche für den Wärmeaustausch bei jahreszeitlichen Übergängen verantwortlich sind. Das Abschmelzen des Polareises ist auf anthropogenen Einfluss zurück zu führen, da es sonst keinerlei Faktoren gäbe, welche einen derartig raschen  Klimaumschwung erklären würden. Die Sonnenaktivität und Umlaufbahn der Erde sind soweit konstant, die großen Veränderungen in der Biosphäre  sind: die Zerstörung der Meere, Abholzung der Regenwälder, Megastädte versiegeln die Landschaft, zunehmender Ausstoß von Treibhausgasen, zunehmende Beeinträchtigung regenerativer Kreisläufe,  das vollbringt allein der Mensch. Der Preis sind unvorhersehbare Klimaschwankungen. Einmal bekannt gemacht als "El Niño", dann "La Niña", nun ein "Skandinavienhoch" das monatelang auf der Nordhalbkugel bis in die gemäßigten Zonen hinunter reicht.

In wenigen Minuten wird er bereits gefunden sein
Die Schneedecke bremst die Natur aus. Alles muss auf Reserve laufen. Die Pflanzen kommen damit noch recht gut zurecht, Insekten wahrscheinlich auch, aber besonders Säugetiere und Vögel haben ihren Vorrat verbraucht und finden finden jetzt keine Nahrung vor, um sich für die Fortpflanzung zu stärken. Es ist offensichtlich, dass die Tierwelt extrem hungert.

Anders ist es nicht zu erklären, dass sich täglich immer mehr Vögel um mein kleines Futterhäuschen drängen, so dass ich mich gefordert sah noch weitere Stellen für die Fütterung einzurichten. Ich bediente mich dabei dem praktischen PET-Flaschen Patent des WWF. Die erste befüllte ich am Abend mit Sonnenblumenkernen (Vogelfuttermischungen sind im Moment nirgendwo erhältlich), am nächsten Vormittag war die Flasche bereits leer. Ich zögerte daher nicht lange und baute gleich noch eine.

Ich schätze, das heute auf mittlerweile 4 Futterstellen verteilt gleichzeitig bis zu 100 Exemplare verschiedener Arten im Garten anwesend waren. Im Umkreis von 500 Meter befanden sich heute schätzungsweise  300 Vögel in den Baumkronen und zahlreichen Sträuchern der Nachbarschaft. Die Tiere bewegten sich nicht weit von der scheinbar einzigen ergiebigen Nahrungsquelle weg. Es bildeten sich kleine Schwärme, welche  das Gelände umkreisten. Den ganzen Tag über war ein ständiges Kommen und Gehen aus der weiteren oder näheren Umgebung zu beobachten, ein ständiges Wechseln zwischen Bäumen und Futterstellen und vor allem - ein riesiges vielstimmiges Konzert in der Winterlandschaft, das schon von Weitem zu vernehmen war.

Ein Blick auf mindestens 10 Arten
Folgende Arten konnte ich mit Sicherheit bestimmen:
Sehr zahlreich sind Buchfinken, Feldsperlinge, Kohl- und Blaumeise, gefolgt von Stieglitz,  Zeisig, Girlitz, Grünfink, Eichelhäher, einige Amseln und ein Fasanpärchen, das am Abend vorsichtig durch den Zaun schlüpft und die Reste vom Boden aufnimmt.

Auf einer Fahrt nach Krakau habe ich dann festgestellt, dass von der Straße aus ab dem angrenzenden Ort keine Vögel mehr sichtbar sind. Alle Baumwipfel in der verschneite Landschaft  sind leer, in einem Ort sah ich vereinzelt Amseln.

Am heutigen Tag gingen annähernd 2 kg Sonnenblumenkerne auf.  Ich muss mich nun um eine preisgünstige und besser ausgewogene Futtermischung kümmern, da im Moment kein rasches Ende dieses Dramas zu erkennen ist.

Dieses Video zeigt, wie nahe mich die ansonsten sehr scheuen Wildtiere an die Futterstelle herankommen lassen. Ein großer Teil ist zwar aufgeflogen und wartet in sicherer Entfernung in den Bäumen, bis die Störung vorbei geht. Andere haben sich an meine immer gleiche Haube und Jacke bereits gewöhnt. An den neueren Futterstellen funktioniert das nicht. Obwohl im selben Garten fluechten die Tiere sofort, wenn ich mich auf mehr als 25 Meter nähere. Die gefiederten Zweibeiner sind sehr wachsam und reagieren auf jede Bewegung im Garten und sogar in den Fenstern. 

Durch den Klimawandel kommt es zu immer stärkeren Wetteranomalien. 2013 dauert der Winter wahrscheinlich bis Mitte April. Auf dem 50. Breitengrad können sich die Singvögel  nur schwer auf diese Situation einstellen.

Ein Massensterben droht.

Ein Foto durch den Feldstecher vom Küchenfenster aus
Erst gegen 18 Uhr beruhigt sich langsam die Situation. Die Vögel ziehen Gruppenweise ab zu entfernteren Schlafbäumen. Ein letztes Mal wird das Futterhäuschen befüllt, damit die von der kalten Nacht hungrigen Tiere am frühen Morgen ausreichend Nahrung vorfinden.

Es war mir an diesem Tag nicht möglich, ruhig in meinem Atelier zu arbeiten, während draußen unsere kleinen singenden Freunde darben. So ist aus einem nebensächlichen ornithologischen Hobby mit einem Schlag eine große Aufgabe geworden.
















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