Sonntag, 10. Oktober 2010

Geschwister im Kosmos


Wenn das Bewusstsein auf Seelenreise geht

Lichtreise, Lehmmalerei 2010, Atelier Earth Spirit

 ...ist das wie ein Hinstreichen über dem Meeresboden.

Der Pinsel 

wirbelt den schwerelosen Sand auf, glitzernd und träge folgen die winzigen Kristalle dem Gesetz der Schwerkraft – im Bruchteil einer Sekunde, im Wimpernschlag einer Vorstellung befinde ich mich am Mondboden und male dort fasziniert in den Staub. Feine Wölkchen rieseln durch den luftlosen Raum, die Lunge benötigt keinen Sauerstoff mehr. Mit einem der Erde entbundenen Körper betrachte ich kopfüber im Raum hängend die schwarze Tiefe des Weltalls, energisch stoße ich mich von der Mondoberfläche ab und tauche durch unser Sonnensystem. Ich fliege erwartungsvoll dem Sternenmeer dahinter entgegen. 
Mein Gesichtsfeld sitzt an der Spitze eines Lichtstrahles, es ist ein Flug in  Lichtgeschwindigkeit, bald nahen die ersten Sterne, wogen wie phosphoreszierende Algen im Meer hin und her, sie bilden harmonisch schwingende Sternenmassen, im Vorbeiflug wirbelnde Spiralen, wie Strudel außen langsam und innen schneller sich drehend.
Es erscheint wie als Ziel ein riesiges kosmisches Feuer, viel größer als alle vorher gesehenen Sonnen. Am Rande dieses Fegefeuers warten die Schattenwesen büßender Seelen auf ihren Abruf in die Sternenglut. Ich ziehe daran vorbei und tauche in glühendes Licht, dringe in den Kern des riesigen Sterns, werde schmerzlos aus- und umgebrannt mit einem Licht aus Ewigkeit. Doch die Reise geht weiter am Scheitel dieses Lichtstrahles, weg von diesem Feuer, wieder zurück in die Tiefen des Raumes, zu einer anderen Zeit, zu einer anderen Vision eines Planeten der wie das Urbild der Erde um eine Sonne kreist.
An seiner Oberfläche trifft das Strahlenbündel senkrecht auf den Boden, bildet mit seiner Energie einen Stalagmiten aus Lehm, formt daraus als kosmische Intelligenz ein lebendiges Wesen.

Einige Zeit später. 
 
Ein affenartiges Wesen, von Gestalt der frühen Hominiden,  begutachtet vor mir eine grobe Keule in seinen Händen.  Plötzlich schlägt es damit auf einen Artgenossen ein. Roh und ungehemmt. Es gelingt mir, den Angreifer vom Schlimmsten abzuhalten, doch sein Opfer ist ziemlich verletzt und gerät in Panik, als ich helfen will. Es greift nun mich an, beißt zu. Mit einigem Glück und Geschick kann ich ausweichen, es geht glimpflich aus. Es gelingt mir, das Affenwesen zu beruhigen, der andere ist in die Flucht geschlagen. Nach einiger Zeit beginnen die Verletzungen zu heilen, er sitzt ruhig vor mir, schaut und sinniert. Beginnt etwas zu begreifen. Der erste Anflug einer humanen Empfindung, die erste Abstraktion des Vertrauens an das Gute. Noch hat er ein Fell und ein schwarzes Gesicht. Der Beginn einer Menschheit mit einem langen Weg vor sich.

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Samstag, 10. April 2010

Die Endlosigkeit nach dem Schrei

Der Anstoß

Als Gast in einem fremden Land sieht man sich bemüßigt, manchen kleinen Wünschen und Anregungen nachzukommen und so ein Anlass war ein kurzes Gespräch mit einer Schuldirektorin, die wohl in Anlehnung an meine Ikonenschreiberei den Vorschlag machte, für das berühmte Ostergrab in der Krakauer Piaristenkirche doch ein Projekt zu machen. Das Grab befindet sich in der Krypta unter der Kirche und es wird nach einer alljährlichen Projektausschreibung vom Gewinner gemeinsam mit den Angehörigen des Klosters gestaltet. In diesem Jahr wurde unter anderem das Thema "Massaker von Katyń" vom Veranstalter suggeriert, ein Ort wo tausende polnische Offiziere von Angehörigen der russischen Armee ermordet wurden.
Wenngleich ich die Aufforderung der Direktorin als eine gewisse Ehre empfand, so gab ich zu bedenken, dass ich diese historische Wunde nicht unbedingt weiter aufrühren will. Sie meinte, es stehe mir frei ein anderes Thema zu suchen.

Wie komme ich zu einem passenden Motiv?

Das nahm ich mir dann auch vor. Einige Tage später besichtigte ich die Krypta und schon während des Fotografierens bildete sich eine zentrale Idee heraus. Es war höchste Zeit, denn es blieben nur mehr wenige Tage Zeit, um das fertige Projekt einzureichen. 
Sofort machte ich mich daran, die ersten Impulse auf Papier zu übertragen, aber die ersten Einfälle waren nicht wirklich zufrieden stellend. Also noch einmal. Es flog so viel durcheinander, es boten sich so viele Punkte zum Ansetzen an, ein Durchbruch, eine Linie musste einfach zu finden sein!  Es war nicht nur ein Problem der Thematik, der Statik und der Ästhetik, sondern wie üblich auch der Kosten und des Zeitaufwandes. Ich wollte mit möglichst sparsamen Mitteln die monumentale Wirkung des Gewölbes nutzen, durfte jedoch die Ressourcen des Klosters nicht überfordern.
Und dann war sie endlich da, die große Idee. Ich hätte schwören können, dass hier der Heilige Geist seine Kraft entfaltete. Das Konzept passte auf einmal vom Anfang bis zum Ende und nahm immer konkretere Formen an.

Realisierung in Papierform

Man sollte berücksichtigen, dass einiges vor Ort noch modifiziert und ergänzt worden wäre. Es handelt sich de Facto um die ersten Skizzen, für mehr war keine Zeit mehr vorhanden. Das ist für diese Schilderung hier jedoch zweitrangig. Man stelle sich es so vor:

Ein Stein vom Herzen

Durch das Portal führen Stufen zur Krypta hinunter

Es bot sich an, ein weithin sichbares Zeichen am Portal anzubringen. Ein rotes Herz sollte wie ein großes Reklameschild wirken und durch die ul. Jana bis hinunter zum Hauptmarkt gut sichtbar ist. Vom  Herz wurde der obligate Stein des Grabmals auf magische Weise weg gerollt, nun ist der Weg frei und wir können das Innere aufsuchen.


Das "Opferkreuz" am Boden der Krypta

 Man gelangt über mehrere Stufen hinab in das Innere des großen Gewölbes, dort spannt sich raumgreifend ein überdimensionales schwarzes Kreuz am Boden. Es wird von zwei sich kreuzenden schwarzen Stoffbahnen gebildet, die von rohen Brettern umrahmt werden. Die Bahnen sind mit ca. Hundert weißen Umrissen von lebensgroßen menschlichen Körpern bemalt, die sich ineinander verschränken wie in einem Massengrab, aber es geht hier nicht um ein bestimmtes, es ist ein vielschichtigeres Symbol. Die Besucher werden beim Durchqueren des Raumes dort über die Balken des Kreuzes geleitet, wo sich am Kruzifix die Nägel befänden. An diesen Stellen befinden sich Stege aus Brettern in die unzählige Nägel eingeschlagen sind, deren Köpfe in die Schuhsohlen drücken.




Piktogramme des Unlösbaren

 Die Zeichen an den Wänden

 In den Wandnischen rechts und links befinden sich schwarze Bildplatten in denen weiße Piktogramme die Unlösbaren Probleme darstellen. Unlösbar weil sie durch die gesellschaftliche, kulturelle, technische Entwicklungen entstanden sind, die jedoch nicht mehr umkehrbar sind. Unlösbar, solange sich an den Grenzlinien von Moral und Auffassungen die Geister scheiden, sei es in der Gentechnik, bezüglich der Geburtenkontrolle, Zerfall der Familie, Missbrauch der Heranwachsenden im Besonderen, inhumane Anwendung von Technologien oder Ideologien der Vernichtung im Allgemeinen.


Das Heilige Grab


Der Blick in das Allerheiligste

Vielleicht stellt man sich den Blick in etwas besonderes Heiliges anders vor, aber den Endpunkt des Besuches der Krypta soll der Blick in einen besonderen Spiegel bilden. Es ist Dein Spiegelbild, was Du siehst, umrahmt vom Motiv einer alten Ikone, einem Mandelion, welches den Abdruck des Gesichts von Christus auf das Leichentuch darstellen soll. Es soll die Rückführung sein von dieser Gottgestalt Jesus Christus zu einem Menschen und nicht zuletzt zur Vorstellung, wie er gerade in diesem Moment, zumindest optisch uns sehen könnte. Das Bild will nicht auf billige psychologische Tricks abzielen, sondern  auf die Vorstellung, dass unsere Phantasie manchmal nicht ausreicht, um die letzten Geheimnisse dieser Welt zu erklären. Und zu diesen gehören immer noch wir selbst.

Es überraschte mich nicht sonderlich,

dass mein Projekt nicht zum Sieger gekürt wurde. Den Zuschlag bekam in diesem Jahr ein junger Absolvent der Krakauer Kunstakademie, wie sich später herausstellte mit einem Haufen von großen Schottersteinen aus dem polnische Flaggen hervorlugten. Die Schottersteine sollten Totenköpfe darstellen, die Fahnen das nationale Leid bei Katyń. Eben diese nationale Komponente hatte ich bewusst beiseite gelassen, obwohl es heraus zu spüren war, dass eine national-katholische Ideologie dem Wunsch vieler einflussreicher Kirchenvertreter entsprach. Zudem kenne ich einen Priester der Jury persönlich gut genug, um beurteilen zu können, was ihm gefallen hätte. Es tat mir Leid, da es mir nicht gelungen war, diesen Kordon zu durchbrechen, Impulse zu notwendigen Reflexionen und Diskussionen zu setzen, weil es nur eine Frage der Zeit ist, bis Säkularisierungsprozesse der polnischen Religiosität spürbar zusetzen werden.  Es tat mir Leid, dass in der Krypta nur ein Haufen Steine mit polnischen Flaggen lag, der die Opferrolle der Polen unterstreichen sollte, aber es drängte sich unweigerlich der Gedanke auf, dass die Wahl des Themas in Korrelation zum geplanten Besuch der Gedenkstätten in Katyń durch den Staatspräsidenten Lech Kaczyński stand. Als Teil einer politisch motivierten Pilgerreise. Ein großer Teil des Klerus stand offen hinter dem Präsidenten und dessen politischer Gruppierung.

Die nationale Tragödie

Es ist jetzt sehr leicht zu sagen, es täte mir Leid, dass nicht auf das Drängen des Heiligen Geistes gehört, kein Dialog zugelassen wurde. Zumindest von Seiten der zuständigen Geistlichkeit. Die Nachricht vom Unglück kam wie ein Donnerschlag. Wahrscheinlich ist es wenig pietätvoll,  den Absturz der Präsidentenmaschine am 10.04.2010 um 10.41 Uhr am Militärflughafen von Smolensk mit meinem abgelehnten Projekt in einen Zusammenhang zu bringen.
Doch exakt auf dieses Datum habe ich diesen Post zurück gesetzt, weil mich das Thema beschäftigt. Real schreibe ich diese Zeilen eineinhalb Jahre später. In dieser Zeit habe ich immer wieder daran gedacht, wie eigenartig die Parallelen meines Projektes mit verschiedenen Begebenheiten und Folgeerscheinungen des Unglücks waren.


Das große schwarze Stoffkreuz mit den hundert aufgemalten Opfern wurde nicht in der Kirche aufgebreitet, statt dessen musste sich das ganze Land mit fast hundert Verunglückten auseinander setzen, die verkohlt aus den  zerschmetterten Resten des Kreuzes der Präsidentenmaschine geborgen wurden. Niemand musste sich Gedanken  über ein paar vergleichsweise harmlose Piktogramme vor dem Ostergrab machen, dafür war das ganze Land vom Gebirge bis zum Meer in Geiselhaft politischer und menschlicher Schuldzuweisungen. Niemand konnte in meditativer Ruhe in den Spiegel einer Christusikone blicken, als überbordenden Ersatz wurden die Menschen dem politische Gezerre um Kreuz und Religion in Zeitungen, auf Plakaten und auf Bildschirmen ausgesetzt.

Gleichgültig welche politische Kraft dahinter stand, das Schicksal bescherte Lech Kaczyński und seiner Gattin Maria ein Grab auf dem Wawel, dem historischen Sitz und Bestattungsort der polnischen Könige. Diese parteiideologische Okupation unter Zuhilfenahme der Krakauer Kurie erweiterte noch die Kluft zwischen den Menschen, die einen pilgern fortan auf den Hügel, die anderen meiden ihn aus politischem Protest. Früher war das Wawelschloss unangefochtenerer Stolz aller Polen.

Genug

Unterm Strich wächst die Zahl derer, welche vom politischen Missbrauch religiöser Empfindungen und Symbole genug haben. Die Zeiten wandeln sich und neue Generationen wachsen heran. Wir sollten jedoch nie vergessen, dass es eine leise Stimme gibt, so etwas wie ein unhörbarer Lufthauch, wie ein Feuer, welches gerade in den kleinen Dingen auf dunklen Pfaden den richtigen Weg weist. Einen schmalen Weg durch die Wirren und unlösbaren Probleme dieser Welt.
Einen Weg in das Leben.