Sonntag, 7. Februar 2016

Das Projekt vom Grab des Herrn und der Absturz der Präsidentenmaschine

Um die Absturzursachen der Präsidentenmaschine auf dem Weg zu einer Gedenkfeier der Opfer von Katyń ranken sich mittlerweile zahlreiche Verschwörungstheorien, die meist von einem Anschlag ausgehen.  Selbst ernannte Visionäre wollen das Unglück vorhergesehen haben, glauben sich dadurch in ihrem Glauben an Mordpläne bestätigt. Es entwickelte sich daraus eine "Religion des Attentats" mitgetragen von Autoritäten der Katholischen Kirche in Polen und nicht zuletzt ein Rechtsfertigungsgrund für Vergeltung und politische Ausgrenzung.

Ich hatte als Kunstschaffender weder das Ereignis "vorhergesehen", noch "glaube" ich an ein Attentat, denn solange es keine anderen hieb- und stichfesten Beweise gibt, muss als Unfallursache wohl auf menschliches oder technisches Versagen geschlossen werden.  Umso hässlicher und schädlicher wirkt sich der Prozess von falschen Schuldzuweisungen und Verleumdungen auf die Zukunft des Landes aus und der Sinn meiner Ausführungen ist nur ein Hinweis, dass die Wurzel der gegenwärtigen Feindschaften tief unter diesen Ereignissen liegt und das Land auch in den nächsten Jahren nicht zur Ruhe kommen wird.

Es sind nun annähernd 6 Jahre vergangen, seit dem Tag, als eine Schuldirektorin an mich herantrat und fragte, ob ich nicht ein künstlerisches Projekt für das österliche "Grab des Herrn" in der Krakauer Piaristenkirche machen wolle.

Teile der Projekt-Ausschreibung von 2010

Jedes Jahr findet zu diesem Anlass eine öffentlicher Wettbewerb statt, bei der vor allem akademische Maler, Architekten ihre religiös-patriotischen Projektvorschläge einreichen, die dann von einer Jury des Ordens beurteilt werden. Dem Gewinner winkt neben dem Renomee ein Preis, 2010 war es eine Reise nach Griechenland, aber vor allem zählt wohl die Adelung junger Talente durch die Akademie, den Klerus und den geneigten Medien. Die Schuldirektorin dachte in meinem Fall an die positive Erwähnung ihrer Schule, was sie auch so sagte.

Das "Grab des Herrn" befindet sich an einem besonders mystischen Ort, der Krypta der Piaristenkirche in der ul. Pijarsiej 2 in Krakau. Anbei ist das Piaristenkloster, wo das Projekt abgegeben werden sollte. 


Es sollte inhaltlich den Werten der katholischen Kirche entsprechen, zur Meditation und Anbetung des allerheiligsten Sakraments dienen. Das endgültige Entscheidungsrecht behält sich die Ordensobrigkeit vor. Dem Künstler steht die Wahl des Themas im vorgegebenen Rahmen um das österliche Grab grundsätzlich frei, es gibt jedoch auch Vorgaben, die man berücksichtigen kann. In den Wettbewerbsbedingungen von 2010 fand sich unter anderem der markante Punkt "70 Jahr-Gedenken des Verbrechens von Katyn". Den legte mir die Schuldirektorin nahe. Die Kosten sollte man überschaubar halten.


Ich wollte möglichst unbefangen an die Ideenfindung heran gehen, als Ausländer war es zudem eine besondere Ehre für mich, für dieses intim patriotisch-kirchliche Projekt überhaupt in Erwägung gezogen zu werden. Ich nahm das also sehr ernst und einen Versuch war es wert, wenn auch ein Blick auf die Zusammensetzung der Jury sofort klar machte, dass ich so gut wie keine Chance hatte. Dort saß ein einflussreicher Geistlicher, für den ich ein rotes Tuch war. Aber was soll's, dachte ich, lassen wir einfach den Heiligen Geist wirken!

Also meldete ich mich bei der Klosterpforte und bekam Einlass. Die Krypta befindet sich in einem ausladenden, leeren Kircheninneren, welches wie eine geräumige Vorhalle wirkt. Ein idealer Raum für monumentale Aussagen. Eigentlich nicht mein Spezialbereich. Ich wanderte herum, fotografierte, verweilte einsam an der intimen Stelle des "leeren Grabes des Auferstandenen" und da waren sie, die Funken der Inspiration! 

Begeistert eilte ich nach Hause, im Grunde war das meiste schon vorhanden, es musste nur noch zusammen gefügt werden und mit relativ geringem Materialaufwand konnte in der knapp vorhandenen Zeit ein den gesamten Raum nutzendes monumentales Werk geschaffen werden. Eine starke Aussage, ein wenig auch wie eine Anklage, ein Lichtstrahl in das Schattenland. Es wurde noch einige Tage gefeilt, verworfen, neu gezeichnet, bis es passte. Da war der Moment, wo es ganz klar war - jetzt stimmt es, die Details werden vor Ort umgesetzt, aber genau das soll dort jetzt gesagt werden, zu Ostern am Grab des Herrn in der Piaristenkirche in Krakau.

Umschläge des Projekts zur Gestaltung des Ostergrabes

Es war klar, dass ich aufgrund des mir feindlich gesinnten Geistlichen sehr schlechte Karten hatte. Aber da war eine innere intuitive Gewissheit, dass es sich um keinen Zufall handle, dass alles so seine Richtigkeit habe. Das Werk hat Recht, dachte ich.


Komm herein durch das offene Herz

Die Pforte der Kirche sollte durch ein weithin leuchtendes Herz hervorgehoben werden, mit einem symbolisierten Stein, welcher vom österlichen Grabmal weg gerollt wurde. Das Herz sollte durch die ul. Św Jana bis zum Rynek Główny sichtbar sein und von fern die Besucher einladen. 



Illustration I, Projekt der Kirchenpforte


Massengrab in Form eines Kreuzes

Der erste Eindruck im Inneren war nicht ganz so "herzlich". Wenn auch das Verbrechen von Katyn vom Umfang her "ausreichend" und so gerne erwähnt worden wäre, so war es doch eine Einschränkung, da die Auferstehung nicht nur auf die polnische Geschichte Bezug nehmen sollte. Sie hat Bedeutung für die gesamte Weltkirche und vor allem für die Gegenwart. Ich sah mich nicht in der Rolle, Ideologien zu illustrieren oder mit Nationalismus zu bestechen. Es sollte das verdeckte sichtbar gemacht werden, das unausgesprochene formulierbar. Oder zumindest fühlbar. Es sollte Inspiration weitergegeben werden, wach gerüttelt werden. 

Alle Wahrheit kommt ans Licht. Nichts bleibt ewig im Verborgenen. Dies sollte durch ein riesiges im Kircheninneren ausgebreitetes schwarzes Kreuz symbolisiert werden, mit den Umrisszeichnungen der Opfer, wie es von Orten des Verbrechens oder Unfällen her allgemein bekannt ist.



Illustration II, Kreuz im Kirchenraum 11 x 7 Meter

Für das am Kirchenboden liegenden Kreuz war eine Einfassung mit grau gestrichenen Brettern vorgesehen und Stege an den "Wundmalen". Genau am oberen Ende sollte sich der Eingang zur Krypta befinden. An den Seitenwänden sollten Piktogramme, welche das Schwarz-Weiß-Thema übernehmen, jene konfliktreichen Streitpunkte von Moral und Pseudomoral thematisieren, deren Opfer am oder im Kreuz landen. 



Illustration III, Auswahl einiger Piktogramme


Es sollten hier bewusst einige "Flaggschiffe" kirchlich rechter oder linker Moraldiskussionen gegenüber gestellt werden. Von Pazifismus, Gleichberechtigung, häuslicher Gewalt, Eingriffe in das Erbgut des Menschen, Kinderschändung, Abtreibung bis zu Faschismus. Die Liste war entsprechend zu erweitern. Die heraus gehobenen Piktogramme klagen (hier Stand 2010) aktuell an, das Kreuz am Boden macht die vertuschten Opfer sichtbar. Unser Grab, der Tatort ist offen.

Was der Erde bleibt

Der Eingang zur Krypta wird von zwei seitlich hochgehenden Stiegen begrenzt, deren Wandflächen sich zu einer weiteren Gestaltung anboten. Hier sollten die letzten Bastionen der Vergänglichkeit mit Lehmreliefs ausgestattet werden. Aus dem Lehm plastisch hervortretenden Körperteile sollten das Sterbliche, Vergehende, das es irgendwann los zu lassen gilt, begreiflich machen, berühren erlaubt.



Illustration IV, IVa, Reliefs am Kryptaeingang

Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst

Die Krypta mit dem Mysterium der Auferstehung soll das Ziel des Besuchs sein. Am Boden liegt das vom Engel gefaltete Leichentuch, auf Augenhöhe sieht der Betrachter in einem Spiegel sich selbst. Der Spiegel bildet zugleich das Gesicht Jesu in einem Mandelion, einer Ikone, die auf der Webseite des Autors unter "Ikonen" in der Liste von "2010"  genauer zu sehen ist.
Die Ikone trägt die Inschrift: ЛЮБИ БЛИЖНЬОГО СВОГО ЯК СЕБЕ САМОГО (phonetisch "Luby błyżnjoho swoho jak sebe" was "Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst"bedeutet. 

Ewig und lebendig sein, das kann nur die Liebe.

   



Illustration V, Leichentuch und Ikone im Grab

Das Projekt, welches die Kirchenleute verworfen haben...

Ein anderes Projekt wurde von den Juroren vorgezogen. Als Sieger ging ein junger Krakauer Akademiker hervor, der einen Steinhaufen mit daraus hervorlugenden polnischen Flaggen vorgeschlagen hatte. Titel der Installation: Die Opfer von Katyn.

Ein abgelehntes Projekt, das kann schon mal passieren. Es ärgerte mich ein wenig, dass so ein "nationalistischer Schmarrn" bevorzugt wurde, aber es war die Erfahrung wert gewesen, zumindest hatte ich den Kopf für anderes frei und entspannt ging es in die Osterferien.

Während dieser Osterferien, am 10. April 2010 kommen auf dem Flug zu einer Gedenkfeier in Katyn  Polens Präsident Lech Kaczynski mit fast 100 Menschen, darunter Politiker, Militärs, bei einem Absturz ums Leben. Die Nachricht ging blitzschnell um die Welt und traf Polen ins Mark, begann es von der ersten Sekunde an zu zerreißen.  Nachdem sich die Zweifel am Wahrheitsgehalt der Meldung verflüchtigt hatten, fiel mir mein verhindertes schwarzes Kreuz mit den vielen Opfern am Kirchenboden ein. Wie authentisch das plötzlich war! Spontan zog ich eine Verbindung zu einem Flugzeug! An ein Attentat dachte ich gar nicht, aber bei der geplanten Realisierung von 7 x 11 Meter begann ich in einer fiktiven Überlegung die Anzahl der aufzumalenden Leichen am Kirchenboden zu schätzen. 

Wären der geistliche Kurs ein anderer gewesen, hätte man schwierige und wichtige Anliegen nicht verworfen, wären tiefere menschliche Wahrheiten und Schwierigkeiten aufgearbeitet worden, anstatt mit Ideologie und Nationalismus, Revanchismus, dem verschwitzten Kampf der Symbole zu ersetzen. Dann hätte es vielleicht irgendwann ein Stoffkreuz mit hundert Symbolopfern am Kirchenboden gegeben und das verkohlte Kreuz der Präsidentenmaschine und die zerfetzten Leichen im Flughafenareal von Smolensk wären der Nation erspart geblieben...

Praktisch gibt es zwischen Projekt und Absturz keinen Zusammenhang, aber spirituell, gedanklich schon. Die Symbole verstärken sich seitdem immer mehr, das Land wird seitdem gezielt gespalten, verliert immer mehr seinen Status als weltoffene Demokratie.
Die verhinderte Öffnung zum Dialog in der Gesellschaft wurde zum politischen Programm der Staatsmacht und das Unglück von Smolensk als Theorie des Attentats zum Faktor des Seins oder Nichtseins. Die Abwehr des Dialogs hat sich zu einer extrem tiefen Spaltung von Kirche und Gesellschaft in Polen entwickelt, zu einer bis dahin noch nie dagewesenen Unversöhnlichkeit und Intoleranz, selbst in den grundlegenden Auffassungen der Ökonomie, des Rechtsstaates, der individuellen Rechte, der Menschlichkeit. 
Der Glaube an das bislang unbewiesene Attentat mutierte zur verpflichtenden patriotischen Doktrin und wurde zum Trittbrett, zur Steigleiter für Karrieren. Die Vorgänge um den Wettbewerb um das Ostergrab vor 6 Jahren waren ein Modellfall, ein keimender Prozess, der in die gegenwärtigen Zustände mündete.

Unser Problem mit der Wahrheit

Welche Rolle Jarosław Kaczynski, der Zwillingsbruder des beim Unglück verstorbenen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, in dieser Entwicklung spielt, möchte ich hier nicht weiter erörtern. Darüber gibt es genügend widersprüchliche Meinungen an anderer Stelle. Als Künstler interessiert mich vorrangig die Rolle des Heiligen Geistes in einem so ernsthaften künstlerischen Projekt zum Thema Auferstehung. Das Evangelium ist eine Frohe Botschaft. Was will er uns mitteilen, der Heilige Geist? Wie wirkt er? 

Wird nicht schon seit ewigen Zeiten diese feine "Stimme", der Hauch der Wahrheit, der Geist der Gemeinschaft der Heiligen, überhört, ignoriert, gebeugt, zurecht gedreht? Der Heilige Geist, dessen Quelle ein gütiger, liebender, fürsorglicher Gott ist. Für all jene, die auf ihn hören.


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